28.06.2023

Klima-Gefühle: Interview Dr. Main Huong Nguyen

Die Psychologin Main Huong Nguyen gibt Tipps, wie man mit negativen Klimagefühlen umgehen kann, wie zum Beispiel durch Achtsamkeitsübungen und den Austausch mit anderen Betroffenen. Sie betont, dass es wichtig ist, sich nicht alleine mit der Angst zu fühlen, sondern Unterstützung zu suchen, um den Klimawandel gesund und gemeinsam bekämpfen zu können.

 

 

Der Klimawandel und die Psyche: Wie belastet uns die Angst um unsere Zukunft?

Klimablog Klimawandel und die Psyche Interview Frau am Meer

 

Welche Bewältigungsmöglichkeiten gibt es um Hoffnung zu schöpfen und seinen Optimismus zu bewahren?

 

Hoffnung resultiert daraus, welche Ziele wir uns setzen, und unserer eigenen Einschätzung, ob wir die Ziele erreichen können. Konkret bedeutet Hoffnung, dass wir erwarten, dass unser gewünschtes Ziel eintreffen wird.

In dieser kurzen Definition stecken schon ganz viele Hinweise, wie wir Hoffnung schöpfen können: Zunächst ist es wichtig, dass wir wissen, was unser gewünschtes Ziel ist. Je konkreter, desto besser. Es sollte auch wirklich realistisch sein. Denn wenn wir uns nicht bewusst sind, was uns im Leben wichtig ist, wo wir hinwollen, und uns somit unserer eigenen Ziele nicht bewusst sind, kann es passieren, dass wir hoffnungslos auf unser Leben blicken.

Wenn man tätig wird, und sieht, dass die eigenen Handlungen erfolgreich sind, fühlt man sich selbstwirksam. Das ist das Gegenteil von Hoffnungslosigkeit.

Werte & Ziele:

  • Der erste Tipp: Haltet inne, und schaut noch einmal, was Eure persönlichen Werte sind und welche Ziele ihr daraus ableiten könnt. Dinge, die ihr tagtäglich tun könnt, damit ihr Eure Werte erfüllt. Und dann: Welche konkreten Ziele gibt es auf gesellschaftlicher Ebene? Überlegt, welche Wege es gibt, um z.B. die Politik oder andere Entscheidungsträger*innen oder Menschen des öffentlichen Lebens darauf aufmerksam zu machen.

Perspektivenwechsel:

Stellt Euch die Frage: Kann ich das Ganze auch aus einem anderen Blickwinkel sehen?

  • Um aus dem negativen Denktunnel herauszukommen empfehle ich, wirklich die Körperposition zu verändern. Statt nach unten zu gucken, mal oben in den weiten Himmel zu schauen, oder auf einen Hügel oder Berg zu wandern und das Ganze wirklich von weit oben zu betrachten

 

Wie verantwortungsvoll ist es in der aktuellen Situation noch eine Familie zu planen?

 

Das ist eine sehr individuelle, persönliche und auch komplexe Entscheidung, die man nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten kann.

Es gibt Menschen, die sich keinen Kinderwunsch besitzen, weil sie so viel Angst vor der Zukunft haben, dass sie sich gar nicht vorstellen können, Kinder zu bekommen. Diese Art von Angst kann sehr lähmend sein. Manche rechnen aus, wie viel CO₂ Menschen verbrauchen und nutzen sehr logische Gegenargumente.

Doch es gibt auch andere Menschen, die sehen, dass Kinder ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft sind. Durch eine Familie ziehen sie Kraft und Motivation, um zu handeln und auch andere zum Handeln zu motivieren. Manche gehen richtig darin auf zu planen, wie ein nachhaltiges Familienleben aussehen könnte.

Es ist wirklich komplex, mit vielen Einflussvariablen: Eigene biografische Erfahrungen, die Meinung unserer Partnerin oder unseres Partners und auch die unseres sozialen Umfelds. Wir Menschen sind auch nicht dafür gemacht, dass wir solche komplexen Entscheidungen nur auf der Grundlage von rationalen Argumenten fällen. Ich finde es daher wichtig darüber ganz offen sprechen zu dürfen, auch mehrere Perspektiven einzunehmen und Andere für ihre Entscheidung nicht zu verurteilen.

 

Wie kann ich trotz Klimakrise gute Laune finden?

 

Zunächst finde ich es wichtig, dass man kein schlechtes Gewissen haben sollte, wenn man weiterhin gute Laune hat.

Eine positive Stimmung und auch Freude im Leben sind so wichtig für das eigene Wohlbefinden, aber auch das von den Menschen um uns herum. Langfristig sorgt es dafür, dass ihr selbst im Kampf gegen die Klimakrise nicht ausbrennt. Mit dieser eigenen Erlaubnis fällt es schon einmal viel leichter.

Achtsame Momente, also Augenblicke, in denen ihr immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurückkehrt, und mit den Gedanken nicht in der Vergangenheit oder Zukunft seid, können dabei helfen, unbeschwerter zu sein. Diese Unbeschwertheit hilft dabei, wieder in eine gute Stimmung zu kommen.

Listet jeden Tag abends vor dem Schlafen gehen 3 Dinge auf, für die ihr dankbar seid. Übt es aber auch mit Menschen in Eurem Umfeld, z.B. Partner*innen oder Eure Familie: Sagt Euch z.B. mind. einmal in der Woche 3 Dinge für die ihr dankbar seid.

Darüber hinaus hilft es natürlich auch all das zu tun, was Euch ansonsten auch Freude bereitet, Hobbys pflegen, wie z.B. Freunde treffen, im Garten zu arbeiten, zu töpfern, in die Natur zu gehen, ...

 

„Dankbarkeit für die Dinge, die ihr jetzt habt, hilft die Stimmung zu verbessern.“

 

An wen kann ich mich wenden, wenn ich mit meinen Sorgen nicht weiter weiß?

 

Ihr könnt Euch bei Sorgen zunächst an Euer soziales Umfeld wenden, z.B. Freund*innen und Familie.
Wichtig ist es, darüber zu sprechen und sich nicht sozial zu isolieren. Sozialer Rückzug kann das Gefühl von Niedergeschlagenheit und auch Hilflosigkeit verstärken.

Wenn ihr merkt, dass ihr trotz des Austauschs in Eurem sozialen Umfeld nicht weiterkommt, holt Euch professionelle Hilfe, z.B. bei Psychotherapeut*innen.

Für Studierende gibt es z.B. oft eine psychosoziale Beratung an der Universität. Falls ihr nicht studiert, könnt ihr Euch an einen ambulanten Psychotherapeuten wenden.

 

Klimablog Klimawandel und die Psyche Interview Umarmung von zwei Personen

 

Wie kann ich herausfinden, ob ich professionelle psychologische Hilfe brauche?

 

Jeder ist mal traurig, hat Angst und macht sich Sorgen. Das ist vollkommen normal.

Doch wenn man anfängt zu beobachten, dass diese Emotionen zum Dauerzustand werden und man im Alltag eingeschränkt wird, könnte es ein Anzeichen sein, dass es sich um eine psychische Erkrankung wie z.B. eine Depression oder Angststörung handelt.

Ausschlaggebend ist der subjektiv empfundene Leidensdruck – wenn man selbst das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt. Doch auch die Beobachtungen von nahen Bezugspersonen können wichtig sein: Wenn Eure Familien oder Freunde Euch darauf ansprechen und sagen, dass sie sich Sorgen machen, solltet ihr das ernst nehmen.

Neben den psychischen Belastungen kommen oft auch körperliche Begleiterscheinungen, wie z.B. Erschöpfung, Ein- und Durchschlagschwierigkeiten oder bei Angstsymptomen Panikanfälle vor.

Sprecht in diesem Fall mit Eurem Hausarzt oder Eurer Hausärztin. Ihr könnt Euch auch an ambulant niedergelassene psychologische Psychotherapeuten wenden. Diese sind verpflichtet, regelmäßig eine psychotherapeutische Sprechstunde anzubieten, die von der Krankenkasse bezahlt wird. In dieser Stunde kann dann noch einmal abgecheckt werden, welche Hilfsmöglichkeiten, die Besten sind.

 

Wie schaffe ich es, dass andere meine Sorgen ernst nehmen?

 

Es ist schwierig eine allgemeine Antwort auf diese Frage zu finden, weil es natürlich auch individuell auf die Situation ankommt.

Doch prinzipiell kann es hilfreich sein, wenn wir anderen unsere Sorgen erzählen, dabei wirklich nur unser Erleben teilen und herunterbrechen, warum wir uns sorgen. Übertreibungen und irrationale Befürchtungen lösen bei vielen Menschen eine Abwehrhaltung aus. Wir sollten deshalb nachfragen, ob der andere versteht, was wir ihm gerade erzählt haben.

Es kann auch helfen zwei Ebenen zu unterscheiden: Auf der einen Ebene können die Gefühle z.B. Ängste und Sorgen validiert werden. Das heißt man zeigt: „Hey, ich sehe, dass Du Dir Sorgen machst. Ich weiß, Du spielst hier nichts vor.“
Denn Gefühle haben immer ihre Berechtigung. Auf einer anderen Ebene geht es darum, dass der Gegenüber die gleiche Meinung vertritt. Wichtig ist es zu vermitteln, dass wir nicht erwarten, dass unser Gegenüber die gleiche Meinung hat, sondern Raum für unsere Gefühle lässt.

Doch das kann manchmal schwierig sein: Es kommt natürlich auch auf die Menschen an, mit denen wir unsere Sorgen teilen.
Nicht alle Menschen können gut mit starken Emotionen umgehen und fühlen sich vielleicht auch hilflos, weil sie verunsichert sind.

 

Wie kann ich mich vor der Flut schlechter Nachrichten schützen?

 

Wir werden auf allen möglichen Kanälen mit Nachrichten bombardiert und schaffen es gar nicht diese zu verarbeiten. Ich empfehle einen begrenzten und auch ausgewählten Medienkonsum. Z.B. könnt ihr Eure Push-Benachrichtigung auf dem Handy ausschalten oder auf dem Laptop für den Browser einen Plug-in installieren, z.B. „Stay Focused“, der es Euch erlaubt nur 10 Minuten täglich bestimmte Internetseiten zu besuchen. Wer besonders sensibel ist, sollte eher Nachrichten lesen, als Bilder oder Filmmaterial zu konsumieren.

 

„Ein bewusster Konsum von Nachrichten ist heutzutage sehr wichtig!“

 

Warum habe ich das Gefühl, dass es immer mehr schlechte als gute Nachrichten gibt?

 

Das ist tatsächlich eine sehr menschliche Tendenz. In der Psychologie wird diese Tendenz: Negativität-Bias genannt. Es ist eine Wahrnehmungsverzerrung, bei der negative Informationen (Ereignisse, Emotionen) stärker bewertet werden als positive Informationen.

D. h. wir neigen alle dazu uns schlechte Nachrichten auch besser zu merken, und denken daher auch, dass sie häufiger sind. Doch wenn wir in die Geschichte der Menschheit schauen, gab es schon immer schlechte Nachrichten.
 
Wir machen das unbewusst aus evolutionären Gründen, eine Art Überlebensstrategie: Unser Gehirn ist so programmiert, dass es eher negative Reize verarbeitet, denn wenn man sich bedroht fühlt, versucht man, Informationen über die Bedrohung zu bekommen, und merkt sich diese Informationen auch besser, damit man sich besser schützen kann und sich auch in Zukunft besser darauf einstellt.
 
Und leider ist es auch so in der Natur der Nachrichtensender, dass sie eher negative Informationen senden, als positive. Doch es gibt immer mehr Zeitungen, die auch Good News Rubriken einstellen. Das finde ich sehr gut, um dieser Tendenz entgegenzuwirken.
 
 

Warum ist Achtsamkeit erst in den letzten Jahren zum Thema geworden?

 

Ursprünglich kommt die Achtsamkeitspraxis aus dem Buddhismus und wird schon seit über 2500 Jahren praktiziert.

Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre übersetzten Mönche, wie z.B. der Zenmeister Thich Nhat Hanh oder auch der Dalai Lama Texte und Schriften so, dass diese auch im Westen Anklang fanden.
 
Ende der 80er entwickelte Jon Kabat-Zinn das Mindfulness Based Stress Reduction Programm (MBSR), ein 8-wöchiges, säkulares Programm, in dem Meditation und Achtsamkeitsübungen vermittelt werden. Das wurde dann zum Durchbruch im Westen.
 
Das Programm zeigte sich nicht nur in der Stressbewältigung als hilfreich, sondern auch in der Behandlung von Depressionen. MBSR wurde dann noch in vielen anderen Formen weiterentwickelt, auch für andere psychische Erkrankungen. Aufgrund der sehr guten Studienlage hat Achtsamkeit nun eine breite Akzeptanz, weil die Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen wurde.
 
Und natürlich passt es auch zu unserem Zeitgeist, die Menschen fühlen sich immer gestresster und suchen aktiv nach Momenten der Entschleunigung.
 
 

Wie kann ich mir mehr Achtsamkeit angewöhnen?

 

Achtsamkeit ist das Gewahrsein dessen, was in uns und um uns herum im gegenwärtigen Moment geschieht. Das bedeutet, man wird sich der Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen im gegenwärtigen Moment bewusst und was um einen herum in der Umwelt passiert.

Damit dieses Bewusstsein möglich ist, muss man stoppen, und innehalten. Denn nur dann kann man beobachten, was gerade passiert.

Im stressigen Alltag fällt uns das gar nicht so einfach, weil wir es vor lauter Aufgaben vergessen. Natürlich gibt es Achtsamkeitsmeditationen, die man üben kann. Anleitungen findet man viele im Internet. Suche Dir 2–3 Momente im Alltag aus, um eine achtsame Pause zu durchzuführen.

  • z.B. beim Zähneputzen: statt jeden Morgen beim Zähneputzen an Deine To-Do‘s zu denken, spüre einfach, wie es sich anfühlt, die Zähne zu putzen. Welche Gedanken auftauchen, wenn Du Dich dabei beobachtest usw.
  • Oder wenn Du das nächste Mal an einer roten Ampel stehst. Ärgere Dich nicht, sondern erinnere Dich daran, dass Du jetzt stoppen kannst, um Deine Aufmerksamkeit nach innen zu richten.

 

Schön, dich kennengelernt zu haben!

 

Main Huong Nguyen ist Psychologin, in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen. Ihren Bachelor absolvierte sie in Mannheim und schloss 2016 ihren Master in Heidelberg ab. Über drei Jahre lang arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, hauptsächlich in der Forschung und an ihrer Promotion. Bis Juni 2019 war sie in einer Spezialambulanz für vietnamesische Migranten an der Charité Berlin tätig. Für sie war es immer klar, auch eine Ausbildung als Psychotherapeutin zu machen. Die Arbeit mit Patient*innen war von Anfang ihr Wunsch.


Neben ihrer Tätigkeit als psychologische Psychotherapeutin ist sie seit 2020 auch Moderatorin des Podcasts „Achtsam” beim Deutschlandfunk Nova.
Wir haben uns sehr gefreut, dich kennenzulernen und bedanken uns für deine Einblicke in die Klimagefühle.

 

Klimablog Klimawandel und die Psyche Interview Psychologin Podcasterin

 

 

 

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